EuGH - Deutsche Regelung zur Deckelung des Abmahnkostenersatzes im Urheberrecht muss unionsrechtskonform ausgelegt werden / Es ist immer ein erheblicher und angemessener Teil der Kosten zu erstatten
Hamburg/ Berlin, 02. Mai 2022.
Seit 2013 bestimmt das deutsche Urheberrechtsgesetz, dass Urheberrechtsverletzer die Kosten einer gegen sie ausgesprochenen Abmahnung dem geschädigten und deswegen abmahnenden Rechteinhaber nur noch in einem stark gedeckelten Umfang ersetzen müssen. Das führt dazu, dass der Verletzte auf dem weit überwiegenden Teil der ihm entstandenen Rechtsverfolgungskosten sitzen bleibt. In der Praxis sprechen Gerichte regelmäßig lediglich Kostenersatz in Höhe von 124,00 EUR zu, während der Verletzte für Rechtsanwaltskosten von weiteren 860,60 EUR keine Kompensation erhält. Lediglich in Ausnahmefällen sogenannter "Unbilligkeit" wird der Ersatzanspruch nicht gedeckelt. Die Praxis indes zeigt, dass diese Ausnahmeregelung in den meisten Gerichtsbezirken faktisch keine Anwendung findet. Eben diese Problemlage für Urheberrechtsinhaber und vor allem ihr offenkundiger Bezug zu den Vorgaben des höherrangigen EU-Urheberrechts hat seit Jahren die Gerichte im gesamten Instanzenzug von Amtsgerichten über Landgerichte bis zu Oberlandesgerichten vielerorts in der Bundesrepublik beschäftigt. Das Landgericht Saarbrücken hat in einem solchen Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die dazu entscheidenden Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Der EuGH hat mit heutigem Urteil (Rechtssache C-559/20) entschieden, dass die sog. Abmahnkosten dem Unionsrecht unterfallen und die entsprechenden deutschen Regelungen daher unionskonform ausgelegt und angewendet werden müssen.
Abmahnkosten sind unionsrechtlich zu ersetzende Rechtsverfolgungskosten eines Verletzten.
Die deutsche Regelung des Abmahnkostenersatzes steht dem Unionsrecht nicht entgegen, soweit sie in ihrer konkreten Auslegung und Anwendung gewährleistet, dass der Erstattungsanspruch wenigstens einen erheblichen und angemessenen Teil der dem Verletzten tatsächlich entstandenen Kosten abdeckt. Der EuGH hat klargestellt, dass die nach der deutschen Regelung durch den Verletzer zu ersetzenden gedeckelten Höchstbeträge stets gewährleisten müssen, dass sie im Verhältnis zu den ungedeckelten gesetzlichen Gebühren nicht zu niedrig sind. Zu niedrige Beträge bzw. zu geringe Teile der tatsächlich entstandenen Kosten wären geeignet, das verfolgte Hauptziel - ein hohes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten - erheblich zu schwächen.
Im Rahmen der vom deutschen Gesetzgeber vorgesehenen Billigkeitsprüfung kann das nationale Gericht spezifische Merkmale wie die Aktualität des Werks und die der Dauer der Veröffentlichung und die persönlichen Eigenschaften des Verletzers berücksichtigen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, darauf zu achten, dass die voraussichtliche Höhe der zugesprochenen Prozesskosten nicht geeignet ist, den Kläger davon abzuhalten, seine Rechte gerichtlich geltend zu machen.
Was die heutige Entscheidung des EuGH konkret in der Praxis bedeutet, wird zunächst die vorlegende Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken beantworten. Sie hatte das heute entschiedene Vorlageersuchen im Zusammenhang mit dem Computerspiel "This war of mine" gestellt und wird auf Basis der heutigen EuGH-Entscheidung unmittelbar über eine Klage entscheiden. Das Gericht wird sich u. a. damit befassen, ob der Ersatz von 124,00 EUR in einem angemessenen Verhältnis zu den tatsächlich entstandenen Kosten in Höhe von 984,60 EUR steht. Bald schon steht auch eine Entscheidung des höchsten deutschen Zivilgerichts zu diesem Thema an. Ein entsprechendes Verfahren hatte der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes mit Rücksicht auf das EuGH-Verfahren zunächst ausgesetzt. Nunmehr kann es wieder aufgenommen werden. Die dort erwartete Entscheidung dürfte eine Weichenstellung für die Rechtspraxis in der Bundesrepublik bedeuten.
RKA Rechtsanwälte vertritt seit vielen Jahren Urheberrechtsinhaber und für diese seit langem die Rechtsauffassung, dass die deutsche Vorschrift zur Deckelung des Abmahnkostenersatzanspruchs in ihrer konkreten Auslegung und Anwendung mit den europarechtlichen Vorgaben, insbesondere Art. 14 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG in Einklang gebracht werden muss. In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, die diesbezügliche Zustimmung mehrerer Landgerichte zu erstreiten.
Wir betrachten das heutige Urteil des EuGH als einen weiteren Etappensieg in diesem Bemühen. Der EuGH hat entgegen der Stellungnahme der Bundesregierung unsere Rechtsauffassung bestätigt, dass Abmahnkosten dem Unionsrecht unterfallen und für eine schematische Deckelung des Abmahnkostenersatzanspruchs kein Raum mehr ist. Die nationalen Gerichte sind durch den EuGH darauf hingewiesen worden, dass sie der Billigkeitsprüfung deutlich mehr Beachtung schenken und den spezifischen Merkmalen des Falles Rechnung tragen müssen. Das gebietet das Unionsrecht.
Wir vertreten die Klägerin in dem Verfahren vor dem Landgericht Saarbrücken und in dem Vorlageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Wir sind außerdem für unsere Mandantin in dem mittlerweile beim Bundesgerichtshof dazu anhängigen Verfahren beteiligt. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte gern jederzeit an uns.
Pressekontakt:
RKA Rechtsanwälte - Hamburg | Berlin, Rechtsanwalt André Nourbakhsch, E-Mail: kanzlei@rka.legal, (040) 5500 6050 und (030) 2360 9032